Gedichte, Metapher & Weisheiten

Geschichte: ZWILLINGE – Ein Dialog im Bauch der Mutter

Glaubst du eigentlich an ein Leben nach der Geburt?“
„Ja, das gibt es. Unser Leben hier ist nur dazu gedacht, dass wir wachsen und uns auf das Leben nach der Geburt vorbereiten, damit wir stark genug sind für das, was uns erwartet.“
„Blödsinn, das gibt es doch nicht. Wie soll das überhaupt aussehen, ein Leben nach der Geburt?“
„Das weiß ich auch nicht genau. Aber es wird sicher viel heller als hier sein. Und vielleicht werden wir herumlaufen und mit dem Mund essen?“
„So ein Unsinn! Herumlaufen, das geht doch gar nicht. Und mit dem Mund essen, so eine komische Idee. Es gibt doch die Nabelschnur, die uns ernährt. Außerdem geht das Herumlaufen gar nicht, die Nabelschnur ist ja jetzt schon viel zu kurz.“
„Doch, es geht bestimmt. Es wird eben alles nur ein bisschen anders.“
„Es ist noch nie einer zurückgekommen von ‚Nach der Geburt‘. Mit der Geburt ist das Leben zu Ende. Und das Leben ist eine Quälerei und dunkel.“
„Auch wenn ich nicht so genau weiß, wie das Leben nach der Geburt aussieht, jedenfalls werden wir dann unsere Mutter sehen, und sie wird für uns sorgen.“
„Mutter? Du glaubst an eine Mutter? Wo ist sie denn bitte?“
„Na hier, überall um uns herum. Wir sind und leben in ihr und durch sie. Ohne sie können wir gar nicht sein!“
„Quatsch! Von einer Mutter habe ich noch nie etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht.“
„Doch, manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du sie singen hören. Oder spüren, wenn sie unsere Welt streichelt….“

Quelle: www.trauherhilfe.at


Mulla Naseudin: “In der Not“

Als der Mulla nach der Gebetszeit aus der Moschee kam, saß ein Bettler am Straßenrand und bat um Almosen. Es ergab sich die folgende Unterhaltung:
Mulla: „Bist du verschwenderisch?“
Bettler: „Ja, Mulla.“
Mulla: „Sitzt du gerne herum und trinkst Kaffee und rauchst?“
Bettler: „Ja.“
Mulla: „Ich nehme an, du gehst gerne jeden Tag in die Badestuben?“
Bettler: „Ja.“
Mulla: „… und machst dir wohl auch das Vergnügen, mit deinen Freunden eins zu trinken?“
Bettler: „Ja, all das macht mir Spaß.“
„Soso“, sagte der Mulla, und er gab ihm ein Goldstück.
Ein paar Meter weiter saß noch ein Bettler; er hatte das Gespräch mit angehört und bettelte aufdringlich um Almosen.
Mulla: „Bist du verschwenderisch?“
Bettler: „Nein.“
Mulla: „Sitzt du gerne herum und trinkst Kaffee und rauchst?“
Bettler: „Nein.“
Mulla: „Ich nehme an, du gehst gerne jeden Tag in die Badestuben?“
Bettler: „Nein.“
Mulla: „… und machst dir auch den Spaß, mit deinen Freunden eins zu trinken?“
Bettler: „Im Gegenteil, ich möchte nichts anderes als ganz bescheiden leben und beten.“
Daraufhin gab der Mulla ihm eine kleine Kupfermünze.
„Aber warum“, jammerte der Bettler, „gib st du einem sparsamen und frommen Mann nur einen Pfennig, während du dem Verschwender eine Goldmünze geschenkt hast?“
„Ach“, antwortete der Mulla, „seine Not ist größer als deine.“

Quelle: Idries Shah: Die fabelhaften Heldentaten des vollendeten Narren und Meisters Mulla Nasrudin. 2. Auflage, Verlag Herder Freiburg im Breisgau 1984


Die Geschichte mit dem Hammer

Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt der Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgetäuscht, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm doch nichts angetan, der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einen Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!“

Quelle: Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein, Piper-Verlag


Vater  Mutter, Kind und ... Esel

Es war einmal ein Ehepaar, das einen 12-jährigen Sohn und einen Esel hatte. Sie beschlossen zu verreisen, zu arbeiten und die Welt kennenzulernen. Zusammen mit ihrem Esel zogen sie los.

Im ersten Dorf hörten sie, wie die Leute redeten: „Seht Euch den Bengel an, wie schlecht er erzogen ist: Er sitzt auf dem Esel und seine armen Eltern müssen laufen!“ Also sagte die Frau zu ihrem Mann: „Wir werden nicht zulassen, dass die Leute schlecht über unseren Sohn reden.“ Der Mann holte den Jungen vom Esel und setzte sich selbst darauf.

Im zweiten Dorf hörten sie die Leute folgendes sagen: „Seht Euch diesen unverschämten Mann an: Er lässt Frau und Kind laufen, während er sich vom Esel tragen lässt!“ Also ließen sie die Mutter auf das Lastentier steigen und Vater und Sohn führten den Esel.

Im dritten Dorf hörten sie die Leute sagen: „Armer Mann! Obwohl er den ganzen Tag hart gearbeitet hat, lässt er seine Frau auf dem Esel reiten. Und das arme Kind hat mit so einer Rabenmutter sicher auch nichts zu lachen!“ Also setzten sie ihre Reise zu dritt auf dem Lastentier fort.

Im nächsten Dorf hörten sie die Leute sagen: „Das sind ja Bestien im Vergleich zu dem Tier, auf dem sie reiten. Sie werden dem armen Esel den Rücken brechen!“ Also beschlossen sie, alle drei neben dem Esel herzugehen.

Im nächsten Dorf trauten sie ihren Ohren nicht, als sie die Leute sagen hörten: „Schaut euch die drei Idioten mal an: Sie laufen, obwohl sie einen Esel haben, der sie tragen könnte!“


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